Bevor ich abends die Beratungsstelle verlasse, sitze ich oft an unserer
Schmetterlingswand und denke an all die Begegnungen und in den letzten Tagen muss ich viel an unsere Familien denken, in denen nicht nur ein Kind gestorben ist.
Erst die Tage hatte ich wieder ein Beratungsgespräch mit einer Familie,
in der gerade das zweite Kind gestorben war und als ich mir das Paar so anschaute, dachte ich an die Familien in der gleichen Situation, die wir schon eine Weile begleiten dürfen und spürte für
einen Moment tiefstes Mitgefühl und dachte: „Ich bin dankbar, dass ihr gerade noch nicht erahnen könnt, wie schwer der Weg tatsächlich sein wird! Wie sehr er sich manches Mal hinziehen wird und
welche grosse Bewährungsprobe er für eure Beziehung sein wird. Denn der intensive Schmerz, den jeder in sich trägt und der sich bei jedem weiteren verstorbenen Kind potenziert, ist oftmals so
schwer auszuhalten, dass man all seine Kraft nur dafür braucht. Manchmal möchte man ihn gar nicht mehr fühlen und vergräbt ihn - ganz tief!“
Als ich vor zwei Wochen eine Mama in der Beratung hatte, die mir sagte,
dass sie am liebsten den Schmerz und die Trauer komplett verdrängen würde, haben wir gemeinsam erarbeitet, dass die komplette Verdrängung gleichzeitig die Verdrängung der Liebe bedeutet - die
Liebe zu den Kindern, die Liebe zum Partner und die Liebe zu sich selbst. Aber genau in diesen Zeiten brauchen wir Liebe - die Liebe zu unseren Kindern, die Liebe von und zu unserem Partner -
sonst verlieren wir sie irgendwann, wenn wir sie aussperren.
Wir haben gemeinsam eine Motivationstafel zum Zulassen des Schmerzes und
der Trauer erarbeitet und sie hat sich fest vorgenommen, diesen Schmerz und die Trauer - und damit die Liebe wieder in ihr Leben zu lassen - ganz in ihrem eigenen Tempo.
Wir brauchen in den Partnerschaften genau diese Liebe, damit wir uns
nicht gegenseitig verloren gehen sondern am Ende gestärkte Beziehungen haben.
Foto: Stefan Wiede